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Vorlage - 2021/21-137  

Betreff: Erhebung und Genehmigung einer Kommunalverfassungsbeschwerde gegen das FAG 2020
Status:öffentlich  
Beratungsfolge:
Gemeindevertretung Westerau Entscheidung
30.11.2021 
Sitzung der Gemeindevertretung Westerau (offen)   

Beschlussvorschlag
Sachverhalt
Anlage/n
Anlagen:
Vollmacht Westerau  

Beschlussvorschlag:

 

Die Gemeindevertretung der Gemeinde Westerau beschließt Folgendes:

 

  1. Die Gemeinde Westerau erhebt nach Art. 51 Abs. 2 Nr. 4 der Verfassung des Landes Schleswig-Holstein (LV) die Erhebung einer Kommunalverfassungsbeschwerde gegen das Gesetz über den kommunalen Finanzausgleich (Finanzausgleichsgesetz - FAG) vom 12.11.2020 (GVOBl. SH 2020, S. 808) wegen Verletzung von Art. 57 Abs. 1 und Abs. 2 LV. Mit diesem Beschluss genehmigt die Gemeindevertretung zugleich rück-wirkend die bereits erfolgte Erhebung der Kommunalverfassungsbeschwerde und das Handeln des Amtes Nordstormarn.

 

2. Nach Maßgabe des FAG stellt das Land den Gemeinden im übergemeindlichen Finanzausgleich Finanzmittel zur Ergänzung ihrer eigenen Einnahmekraft zur Verfügung. Die Gemeinde Westerau ist eine amtsangehörige Gemeinde. Der Landesgesetzgeber hat ihr nach §§ 24 ff. Landesplanungsgesetz in Verbindung mit der Verordnung zum Zentralörtlichen System keinen raumordnungsrechtlichen Status zugewiesen. Es handelt sich um einen nicht-zentralen Ort. Mit FAG 2020 hat das Land Schleswig-Holstein den kommunalen Finanzausgleich neu geregelt. Die Gemeinde Westerau rügt, dass der Landesgesetzgeber entgegen Art. 57 Abs. 1 LV ihre Bedarfe nicht ausreichend ermittelt und berücksichtigt hat, sodass eine sachwidrige Ungleichbehandlung gegenüber anderen Gemeinden gegeben ist. Darüber hinaus rügt sie, dass das aus Art. 57 Abs. 2 LV folgende Konnexitätsprinzip nicht gewahrt wurde, weil der Landesgesetzgeber seinen Transparenzpflichten nicht gerecht wird. Die Gemeinde Westerau macht daher geltend, hierdurch in ihren geschützten Rechten aus Art. 57 Abs. 1 und Abs. 2 LV als wesentlichen Bestandteilen des Selbstverwaltungsrechts nach Art. 54 Abs. 1 und Abs. 2 LV durch ein Landesgesetz verletzt zu sein.

 

3. Die Gemeinde Westerau beauftragt mit der Prozessführung vor dem Landesverfassungsgericht das Amt Nordstormarn, das seinerseits die DOMBERT Rechtsanwälte PartmBB, Konrad-Zuse-Ring 12A, 14469 Potsdam mit der rechtlichen Vertretung beauftragt hat. Soweit die Prozessführungsbefugnis des Amtes im vorliegenden Falle wegen § 3 Abs. 1 Satz 5 AO ausgeschlossen sein sollte, beschließt die Gemeindevertretung hiermit zugleich, dass sie sich im Kommunalverfassungsbeschwerdeverfahren ebenfalls von der DOMBERT Rechtsanwälte PartmBB, Konrad-Zuse-Ring 12A, 14469 Potsdam vertreten lässt. Die Bürgermeisterin wird hiermit beauftragt, die beigefügte Vollmacht für die Gemeinde zu unterzeichnen.

 


 


Sachverhalt:

 

1. Die Gemeinde Westerau geht mit 107 weiteren amtsangehörigen Gemeinden davon aus, dass das FAG 2020 in Teilen verfassungswidrig ist. Gemeinsam lassen die Gemeinden den kommunalen Finanzausgleich des Landes Schleswig-Holstein vor dem Landesverfassungsgericht überprüfen. Durch das Gesetz über den kommunalen Finanzausgleich (kurz: FAG) stellt das Land den Gemeinden Finanzmittel zur Verfügung, damit sie ihre Aufgaben erfüllen können. Dies ist in der Landesverfassung so verankert, um die kommunale Selbstverwaltung abzusichern. Weil sich die Steuereinnahmen und damit die Finanzsituation des Landes, aber auch die Entwicklungen und Finanzbedarfe bei den Kommunen stetig ändern, wird der Finanzausgleich in regelmäßigen Abständen reformiert. Hierfür wurde auch für die Reform im Jahre 2020 ein Gutachten durch Finanzwissenschaftler der Uni Köln erstellt, die Empfehlungen für die Neufassung ausgesprochen haben.

Im Rahmen des Finanzausgleichs wird zwischen verschiedenen sogenannten Teilschlüsselmassen unterschieden, in denen festgeschrieben ist, wie viel Prozent der insgesamt zur Verfügung stehenden Summe welche kommunale Ebene erhält. Neben den Zuweisungen für Gemeinden und Kreise sieht das FAG auch eine gesonderte Teilschlüsselmasse für die sogenannten Zentralen Orte vor. Das sind Gemeinden und Städte, die überörtliche Aufgaben erbringen und daher auch für Gemeinden des Umlandes Aufgaben wahrnehmen und Einrichtungen bereitstellen. Das können beispielsweise Kultureinrichtungen, Schulen oder ähnliches sein. Für diese übergemeindliche Aufgabenwahrnehmung erhalten diese Zentralen Orte gesonderte Finanzmittel. Welche Gemeinde ein Zentraler Ort wird, richtet sich aber nicht nach dem FAG, sondern dem Planungsrecht und wird von der Landesregierung bestimmt.

Die Gutachter für die Reform des FAG, welches dann Ende 2020 beschlossen wurde, kamen zu dem Ergebnis, dass diese gesonderte Teilschlüsselmasse für Zentrale Orte abgeschafft werden solle. Denn den Mehrbedarfen der Zentralen Orte stehen in einzelnen Aufgabenbereichen "… höhere Aufwendungen der - i.d.R. kleineren und dünner besiedelten - nicht-zentralen Orte gegenüber, die sich aus den weiteren Entfernungen und den geringeren Größenvorteilen ergeben." (Seite 219 des Gutachtens). Durch eine Integration der Teilschlüsselmasse für die Zentralen Orte in die Teilschlüsselmasse für alle Gemeinden könnten nach Auffassung der Gutachter die Bedarfe besser abgedeckt werden.

Dieser Empfehlung folgte die Landesregierung jedoch nicht. So blieb es für das FAG dabei, dass eine gesonderte Teilschlüsselmasse für Zentrale Orte besteht, obwohl es gar keine abschließende Liste von Aufgaben gibt, für die die Zentralen Orte diese zusätzlichen Mittel erhalten. Stellte das Land hierfür 2014 noch 90 Mio. Euro zur Verfügung, waren es 2020 bereits 250 Mio. Euro. Den tatsächlichen Finanzbedarf der Zentralen Orte zur Wahrnehmung ihrer überörtlichen Aufgaben hat das Land aber zu keinem Zeitpunkt ermittelt. Weil dadurch eine Teilsumme des Finanzausgleichs den Zentralen Orten vorbehalten ist, ist die Teilsumme für alle nicht-zentralen Orte entsprechend kleiner.

 

  1. Die klagenden amtsangehörigen Gemeinden sind allesamt solche nicht-zentralen Orte. Auch sie haben aber mit steigenden Kosten und wachsenden Defiziten für einzelne Aufgabenbereiche wie Brandschutz, Kitas, Schulen und Straßen zu kämpfen. Zugleich erfüllen auch diese Gemeinden Aufgaben, von denen andere umliegende Gemeinden und ihre Einwohner profitieren. Auch sie haben damit übergemeindliche Aufgaben wie die Zentralen Orte, erhalten hierfür aber keinen entsprechenden Ausgleich, weil sie nach dem Planungsrecht nicht als Zentrale Orte anerkannt sind. Die Gemeinden sind in ihren finanziellen Möglichkeiten dadurch eingeschränkt und benachteiligt.

Die Zentralen Orte selbst ordnen eine Vielzahl von Aufgaben dem zentralörtlichen Bereich zu und leiten daraus ihren Bedarf ab. Das sind überwiegend Aufgaben, die auch nicht-zentralörtliche Gemeinden wahrnehmen. Entweder sind dies in ihrer Pauschalität folglich keine zentralörtlichen Aufgaben oder auch die beschwerdeführenden Gemeinden nehmen - zumindest anteilig - zentralörtliche Aufgaben wahr. Hier zeigt sich die fehlende Bedarfsermittlung für die Wahrnehmung der übergemeindlichen Aufgaben durch die Zentralen Orte, weil die Zuweisung von diesen Sondermitteln aus dem Finanzausgleich allein auf der planerischen Einordnung als Zentraler Ort beruht.

Gerade diese Verknüpfung von planerischer Einordnung und dem kommunalen Finanzausgleich kritisieren die klagenden Gemeinden als verfassungswidrig. Sie sind der Meinung, dass die fehlende Aufgaben- und Bedarfsermittlung zu einer Ungleichbehandlung führt. Wäre - den Empfehlungen der Gutachter folgend - die gesonderte Teilschlüsselmasse für die Zentralen Orte abgeschafft worden, so hätten die klagenden Gemeinden mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit mehr Geld zur Verfügung. Demgegenüber nehmen die Gemeinden faktisch zentralörtliche Aufgaben wahr, ohne einen finanziellen Ausgleich hierfür zu erhalten.

 

  1. Verteilt das Land seine Finanzmittel aber an die Gemeinden, muss es diese grundsätzlich gleichbehandeln. Nur wenn besondere Aufgaben und Bedarfe es rechtfertigen, dürfen zusätzliche Mittel ausgereicht werden, die andere Gemeinden nicht erhalten. Zwar ist eine besondere Berücksichtigung zentralörtlicher Funktionen grundsätzlich zulässig. Hierfür hätte das Land aber die Aufgaben und Bedarfe der Gemeinden im Hinblick auf übergemeindliche Aufgaben ermitteln müssen, was es nicht getan hat. Die zusätzlichen Mittel werden allein auf Grundlage der planungsrechtlichen Einordnung der Zentralen Orte an diese ausgegeben. Das ist verfassungswidrig, weil es weder aufgaben-, noch sachgerecht ist. Stattdessen klammerte sich das Land "sklavisch" an die Regelungen des Planungsrechts. Aber auch planungsrechtlich nicht als Zentrale Orte eingestufte Gemeinden können übergemeindliche Aufgaben wahrnehmen, weshalb das Planungsrecht hierfür nicht verbindlich ist. Die deswegen notwendige Bedarfsermittlung hat das Land versäumt. Es weicht außerdem ohne nähere Begründung von den Vorschlägen der Gutachter ab.

Deshalb wollen die 108 Gemeinden den kommunalen Finanzausgleich des FAG aus dem Jahre 2020 vor dem Landesverfassungsgericht überprüfen lassen. Sie haben daher gemeinsam eine kommunale Verfassungsbeschwerde erhoben, die nun beim Verfassungsgericht eingereicht wurde. Hierüber wird das Gericht nach einer mündlichen Verhandlung dann durch ein Urteil entscheiden. Mit einem solchen Urteil ist nicht vor Ende 2022 zu rechnen.

 

  1. Um diesem Schritt die größtmögliche demokratische Legitimation zu verleihen, beschließt die Gemeindevertretung nachträglich und rückwirkend, dass sie die Erhebung der Kommunalverfassungsbeschwerde befürwortet und das Handeln des Amtes Nordstormarn genehmigt. Soweit die Prozessführungsbefugnis des Amtes nach § 3 Abs. 1 Satz 5 AO aus rechtlichen Gründen ausgeschlossen sein sollte, beschließt die Gemeindevertretung zugleich, dass sich die Gemeinde in diesem Falle von denselben Rechtsanwälten vertreten lässt, die bereits die Verfassungsbeschwerde erarbeitet haben. Hierfür ist eine zusätzliche Prozessvollmacht, unterschrieben von der Bürgermeisterin notwendig. Diese ist unverzüglich den beauftragten Anwälten durch die Amtsverwaltung zu übermitteln. Die Kosten des Verfahrens trägt das Amt.

 

  1. Die Fassung dieses Beschlusses ist aus Fristgründen und zur Absicherung des Verfahrens bis Ablauf diesen Jahres erforderlich. Die Beschlussvorlage ist öffentlich zu behandeln.

 

 


Anlage/n:

Anlage/n:

Vollmacht Westerau

Anlagen:  
  Nr. Name    
Anlage 1 1 Vollmacht Westerau (185 KB)      
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